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Feuilleton online Heiner Müller

9.1.2009 / Anne Schäfer-Junker

Heiner Müller (1929-1995)

„Man kann sagen, daß das Grundelement von Theater und also auch von Drama VERWANDLUNG ist, und die letzte Verwandlung ist der Tod. Das einzige, worauf man ein Publikum einigen kann, worin ein Publikum einig sein kann, ist die Todesangst, die haben alle. Und auf diesem einzigen Gemeinsamen beruht die Wirkung von Theater. Also beruht das Theater immer auf einem symbolischen Tod.“

Am 9. Januar 2009 wäre Heiner Müller 80 Jahre alt geworden.

Heiner Müller im Espresso, Alexanderplatz 4.11.1989

Heiner Müller, 4. November 1989, gegenüber: Steffi Spira (sowie am Tisch Christa Wolf, Gerhard Wolf, Dieter Krebs, nicht im Bild: Stephan Heym, Gerald Götting) im damaligen ‚Espresso‘ am Alexanderplatz vor der Großdemonstration für Freiheit und Menschenrechte. Theaterdramaturgen, Schauspieler, Autoren, Politiker und Journalisten aus dem intellektuellen Aufbruch trafen sich vor den Reden auf dem Alexanderplatz zur Vorbesprechung.

© Archiv Schäfer-Junker, Foto: Anne Lemke-Junker

 

Dem großen Dramatiker Heiner Müller zum 80. Geburtstag:

Akademie der Künste

In einem seiner Gespräche (im folgenden zitiert aus „Ich bin ein Landvermesser“ / Rotbuch Verlag 1996) mit Alexander Kluge „Die Welt ist nicht schlecht, sondern voll“ – wo die griechische Antike mit ihren Metaphern als bedeutungsvoller Stoff fürs Theater hinterfragt wird bei den Themen Krieg, Gewalttätigkeit, Besetzung – fragt ihn Kluge: „Wenn es diesen Unterschied gibt, eine Welt ist voll, ist besetzt, und eine Welt ist offen... antwortet Müller „Das Problem ist doch, wenn man von diesem simplen Text ausgeht, die Welt ist nicht schlecht, sondern voll, daß es auf jeden Platz in dieser Welt drei bis zwölf Anwärter gibt, immer mehr Anwärter auf diesen einen Platz: was passiert dann?“ ... Und Kluge pariert weiter hinten im Text: „Es gibt kein Troja, nein. Es gibt keinen Peloponnes und kein Troja.“ Müller: „und das wirkt sich natürlich furchtbar aus“, Kluge: „Und daß die offene Gewalt nur Ersatz für eine verschleierte ist, dafür gibt es keinen öffentlichen Ausdruck“. ...und dabei bleibt übrig, daß die Summe der Toten und dieses Lager der Lebendigen über lange Perioden hinweg einander belagern. Würde je das Lager der Lebendigen das Lager der Toten an Zahlen übertrumpfen, dann habe ich Armageddon...“. Müller: „Dann wird’s gefährlich.“ Kluge: „Das ist die Katastrophe?“ Müller: „Ja, ich glaube schon.“ Kluge: „Also gewissermaßen die Gravitation der Toten? Es gibt befestigt, verankert, die Plätze der Lebenden. Würdest du das auch auf die Wirtschaft anwenden?“ Müller: „Ich glaube schon.“ Kluge: „Da gibt es auch oft kapitalistische Tote und kapitalistische Lebendige. Die Menschen in den neuen Bundesländern haben irgendwie die Idee gehabt, daß sie jetzt einen Platz an der Sonne erreichen. 1989. Weil es leere Plätze im Kapitalismus gebe. Das scheint ein Irrtum zu sein.“ Müller: Das war der Irrtum, ja. Die Plätze waren schon besetzt. ... Dann am Ende des Gespräches fragt Kluge: „Wenn du erklären solltest, ob der Beruf, den du ausübst, mehr ein Land- und Zeitvermesser ist oder ein Prophet, was würdest du sagen?“
Müller: Ich würde eigentlich aus Eitelkeit sagen, ein Prophet, das wäre aber ganz falsch.

Ich würde, wenn ich ehrlich bin, sagen: Ich bin ein Landvermesser.“

 

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